Am Thingplatz ging es um Leben und Tod

Der Thingplatz in Herchen erinnert an frühere Zeiten. (Foto: Inga Sprünken)

Unsere heidnischen Vorväter haben ihre Spuren hinterlassen. Auch wenn im Rahmen der Christianisierung immer wieder versucht wurde, die heidnischen Hinterlassenschaften unserer germanischen Vorväter zu eliminieren, ist ihnen dies doch nicht so ganz gelungen. So wurden Kirchen etwa oftmals an alten heidnischen Kultplätzen errichtet und immer wieder begegnen uns im Alltag ihre Spuren. So findet sich etwa der germanische Gott Thor/Donar in unserem Wochenkalender. Donar steht für Donnerstag. Der Mittwoch ist seinem Vater Odin/Wotan gewidmet, der Dienstag seinem Bruder Tyr – gut zu erkennen in den englischen Bezeichungen Thursday, Wednesday, Tuesday. Auch 1700 Jahre nach dem Sieg des Christentums ordnen die heidnischen Götter der Germanen unsere Zeit.

Grün überwuchert die Geheimnisse alter Zeit. (Foto: Inga Sprünken)

Doch was wissen wir wirklich von den sagenumwobenen „Schlagetods“, die raufend und saufend durch die Welt zogen und auf Schlachtfeldern Trinkgenossen für wilde Orgien in Walhalla rekrutierten? Einblicke in die Religion und Gesellschaft der germanischen Stämme gibt es teilweise in Museen und alten Überlieferungen. Die schriftlichen Quellen über Odin, Thor & Co gelten indes als heikel. Handelt es sich doch um antike Autoren wie den römischen Historiker Tacitus, die in ihnen Schriften wie „Germania“ die Götter beschreiben. Noch schwieriger ist die isländische „Edda“ aus dem 13. Jahrhundert zu lesen. In ihr wurden die Erzählungen und Gesänge zusammengefasst, die seit Jahrhunderten an den Feuern des Nordens vorgetragen wurden.

Zugewachsen ist der Thingplatz in Herchen. (Foto: Inga Sprünken)

Götter bestimmten den Alltag der Germanen

Homer und Hesiod sammelten die Geschichten der Götter und brachten sie in eine Ordnung. So wirkt der Stammbaum der Bewohner von Asgard seltsam vertraut, wo mit den Asen unter der Führung Odins das wichtigste Göttergeschlecht der Germanen seinen Wohnsitz hat. Die Asen kämpften lange mit den Wanen, auch mit den Riesen und anderen göttlichen Wesen, sodass eine historische Genealogie entstand, mit regional unterschiedlichen Hierarchien und Zuständigkeiten. Doch wo genau wurden Götter wie Odin und Thor verehrt? Wie war das Leben zu jener Zeit?

Zu Bekanntheit gelangten etwa die Thingplätze, ein Thema das die Nationalsozialisten aufgriffen. Als „Thing“ oder „Ding“ wurden Orte bezeichnet, an denen Volks- und Gerichtsversammlungen nach altem germanischen Recht abgehalten wurden. Diese Orte lagen häufig etwas erhöht oder unter einem Baum unter freiem Himmel. Ob es sich um einen solchen auf dem Bergsporn hoch über Herchen handelt, ist ungewiss. Fakt ist jedoch, dass die Nationalsozialisten die heute noch existierende Thingstätte dort errichteten. Wer genau hinschaut, entdeckt in den Pflastersteinen die Jahreszahl „Anno 1934“. Die Idee dahinter war nicht nur ein Ehrenmal für die im ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten, sondern eine Stätte, an der auch Versammlungen abgehalten wurden und Festspiele stattfinden sollten. So erinnert ihre Aufteilung oft an ein römisches Amphitheater.

Wer genau hinschaut, entdeckt die Jahreszahl im Pflaster. (Foto: Inga Sprünken)

Der Herchener Thingplatz

Mit Beginn der Machtübernahme durch die Nazis wurden zwischen 1933 und 1936 landesweit insgesamt 60 von 400 geplanten Thingstätten für so genannte Thingspiele erbaut. Der Herchener Thingplatz (oder Thingstätte), den man erreicht, wenn man auf dem Künstlerweg an den alten Kanonen gegenüber des Kurparks den Berg hinauf steigt, wurde wohl kaum genutzt. Seine Erhabenheit hat er bis heute nicht eingebüßt. Die Sichtachse vom unteren Bauwerk verläuft bergan geradewegs über einen Pfad nach oben, von wo man ihn in seiner Gesamtheit betrachten kann. Teilweise von Grün überwuchert, strahlt der Platz eine gewisse Würde aus.

Und wer weiß, vielleicht wurde hier ja tatsächlich vor über 1500 Jahren über Leben und Tod entschieden? Die germanische Rechtsprechung war nicht zimperlich. Schuldner, Ehebrecher, Bankrotteure wurden mit harten Strafen belegt. Sie wurden zur Schau gestellt und entwürdigt, viele wurden hingerichtet. Sie wurden gesteinigt und geköpft. Im Mittelalter setzte sich der barbarische Umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen “Straftätern” und “Ungläubigen” fort und fand seinen traurigen Höhepunkt in der Zeit der Hexenverfolgung im 17. Jahrhundert. Aber das wiederum ist eine andere Geschichte.

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