Messerangriff in Eitorf: Er ist wieder da

Messerangriff in Eitorf

Messerangriff in Eitorf: Er ist wieder da
Von Inga Sprünken

Manchmal überholt die Behörden die Realität. Während Bürgermeister Rainer Viehof kurz nach dem Messerangriff in der Flüchtlingsunterkunft in Eitorf-Irlenborn am 8. Oktober verkündete, man habe den Beschuldigten in ein Flugzeug in ein EU-Außenland gesetzt, wurde dieser bereits am 23. Oktober wieder in Eitorf gesichtet. Und nicht nur das, der afghanische Staatsbürger hat sich in der Gemeinde gemeldet und wurde in einer Flüchtlingsunterkunft in Eitorf untergebracht.

Auf eine Rückfrage bei der Kreispolizeibehörde, warum nach der Tat keine Haftgründe gegen den 27-Jährigen vorgelegen hätten, weil er ja eine schwere Körperverletzung begangen habe und Fluchtgefahr bestand, da er ja ein Flugticket in der Tasche hatte, meldete sich Staatsanwalt Dr. Sebastian Buß telefonisch.

Nur oberflächliche Verletzung durch Messerangriff

„Es war nur eine oberflächliche Verletzung der Extremitäten und wird daher als gefährliche Körperverletzung und nicht als Tötungsdelikt gewertet“, so der Staatsanwalt. Bisher sei der Mann nur einmal in Erscheinung getreten wegen eines verbotenen Graffitis an einer Hauswand und dafür verurteilt worden.

„Er war ausreisepflichtig und ist dem nachgekommen“, so Buß. Daher wollte man seine freiwillige Ausreise nicht durch eine unverhältnismäßige U-Haft konterkarieren. Das Strafverfahren sei eingeleitet und werde fortgeführt, führte der Staatsanwalt weiter mit Blick auf seine Rückkehr aus.

Nach einer erneuten Rückfrage bei der Kreispolizei bestätigte diese übrigens heute (27. Oktober) auch einen Vorfall vom 14. Juli, bei dem der Mann in Verdacht steht, einen geparkten Pkw beschädigt zu haben. Dazu sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Dass der Mann auch Kinder mit Ziegelsteinen beworfen haben soll, sei polizeilich nicht bekannt.

Asylfolgeantrag trotz Messerangriff möglich

Eine Nachfrage bei der Ausländerbehörde des Rhein-Sieg-Kreises ergab, dass diese von der Rückkehr des Mannes ebenfalls unterrichtet ist. „Sollte vom Betroffenen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Asylfolgeantrag gestellt werden, ist damit eine Neuverteilung auf eine Unterkunft verbunden“, teilt Pressesprecherin Bettina Heinrichs-Müller mit und verweist auf die Frage, was den Täter nach seiner Rückkehr erwartet, an die Strafverfolgungsbehörden.

Durch die zuständige Behörde werde nun versucht, die bestehende Ausreisepflicht nach Griechenland (dem Land, aus dem er eingereist war und in dem er seinen ersten Asylantrag gestellt hat) durchzusetzen. Gegebenenfalls werde eine Entscheidung über den angekündigten Asylfolgeantrag abzuwarten sein.

Verhinderung von Straftaten

„Aus ausländerrechtlicher Sicht ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn jemand seiner Ausreisepflicht freiwillig nachkommt. Aufgrund der damals bevorstehenden freiwilligen Ausreise gab es auch keinen Grund für die Ausländerbehörde Abschiebehaft zu beantragen“, begründet die Behörde, warum der Mann nicht in Gewahrsam genommen wurde.

„Die Verhinderung von Straftaten ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden. Die Ausländerbehörden können nur mittelbar dazu beitragen, indem sie vollziehbar Ausreisepflichtige möglichst schnell abschieben“, teilt das Ausländeramt auf die Frage mit, wie die Bevölkerung vor solchen Angreifern geschützt werden könne.

Rechtliche Bewertung durch einen Juristen

Im Ergebnis ist die Bewertung der Staatsanwaltschaft, es lägen keine Haftgründe nach den maßgeblichen §§ 112 ff StPO vor, durchaus vertretbar. Offenkundig geben Art und Schwere der Verletzung wie auch der sonstige Ermittlungsstand (Aussagen des Opfers?) keinen belastbaren Anhaltspunkt für einen Tötungsvorsatz. Die Verletzungen haben keine schweren Folgen. Es kommt also allein eine gefährliche Körperverletzung mit vergleichsweise geringer Strafandrohung in Betracht.

Dazu kommt: Der Sachverhalt ist klar, de facto besteht Ausreisewilligkeit des Beschuldigten und im Falle einer späteren Verurteilung und seiner Wiedereinreise kann der Strafanspruch des deutschen Staates durchgesetzt werden. Nimmt man das alles zusammen, ist das Zurücktreten der U-Haft eine tragbare Entscheidung.

Keine Abschiebehaft trotz Messerangriff

Gleiches gilt für das Absehen der Ausländerbehörde von der Abschiebehaft. Die hat mit dem Strafverfahren rechtlich nichts zu tun. Es erscheint ganz unwahrscheinlich, dass ein Amtsgericht Abschiebehaftbefehl ausstellt gegen einen ausreisepflichtigen Ausländer, der ein gültiges One-Way-Ticket für die Ausreise in den vorgesehenen EU-Staat vorzeigt.
Auch richtig ist, dass der Beschuldigte eine Folge- oder Zweitasylantrag hier stellen kann und die Entscheidung darüber maßgeblich für die Frage einer Abschiebung ist. Das Ganze ist in vielen Aspekten sozial und gesellschaftlich schwer nachvollziehbar, aber von unserer Rechtsordnung getragen, weil eben Freiheit ein hohes Gut ist.

Offen bleiben diese Fragen

Welche rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründe haben die Durchsetzung der Ausreisepflicht vor dem 8. Oktober 2024 seit wann verhindert?

Wenn denn die freiwillige Ausreiseabsicht des Beschuldigten ausschlaggebend für das Ausbleiben von Untersuchungs- und Abschiebehaft war, warum wurde dann die tatsächliche Ausreise nicht durch Kräfte der Polizei- und/oder Ausländerbehörde gesichert?

Unterstellt, der Beschuldigte ist in dem EU-Staat, in der er ausreisen musste, angekommen, wie war denn die Rückreise nach Deutschland binnen rund zwei Wochen möglich?