Die Toten unter dem Marktplatz

Der Markplatz wurde immer stärker beparkt. (Repro: Inga Sprünken)

Es ist der 17. März 1945, 17.50 Uhr – heute genau vor 76 Jahren. Ein Donnern liegt in der Luft. 32 Maschinen des 9. Airforce-Kommandos der Amerikaner nähern sich dem Herzen von Eitorf. Ein Bombenhagel geht nieder – wie schon an anderen Tagen im März, darunter der 8. März mit großflächigen Schäden. Bürgermeister Ohligs sitzt in seinem Dienstzimmer am Marktplatz und sagt zu einem Mitarbeiter Philipp Schmitz: „Die kritische Zeit ist vorbei. Ich glaube nicht, dass noch ein Teppich auf Eitorf gelegt wird. Das wäre doch sinnlos.“ Doch das ist ein Irrtum. In Sekunden wird der gesamte noch übrige Ortskern in Schutt und Asche gelegt.

Unter diesem Schutthaufen des Turms auf dem Marktplatz wurden 25 Menschen begraben. (Repro: Inga Sprünken)

Auf dem Marktplatz haben sich 25 Menschen in den alten Turm der Kirche verkrochen. Sie fühlen sich hinter den anderthalb Meter dicken Bruchsteinmauern und dem mächtigen Innengewölbe sicher. Manche von ihnen leben bereits seit Beginn der Bombardements am 8. März darin. Doch um 17.45 Uhr schlägt die erste Bombe den Turmhelm in Höhe der Glockenstube ab. Während dieser sich in Richtung Cäcilienstraße neigt, zerreißt eine zweite Bombe den Turm in Höhe der einstigen Turmkapelle in Stücke – die Gebäudeteile stürzen senkrecht in sich zusammen. Sie begraben 25 Menschen unter sich.

Nicht mehr viel übrig blieb von dem Rathaus unweit des Marktplatzes. (Repro: Inga Sprünken)

Auch das Rathaus, in dem sich der Bürgermeister befindet, wird von mehreren Volltreffern vernichtet, Bürgermeister Ohligs stirbt, während der Krisenstab aus Verwaltung, Polizei und Feuerwehr in den schützenden Kellerräumen überlebt. Dieser Angriff ist der letzte der Serie, bei der unzählige Menschen – darunter auch der Müller der Baustmühle und 19 Leute, die dort für Brot anstanden, ums Leben kommen.

Die Umrisse des Turms auf dem Marktplatz

In dieser Zeichnung von Josef Ersfeld ist der alte Kirchhof zu sehen. (Repro: Inga Sprünken)

Noch heute sind die Umrisse des Kirchenturms auf dem Pflaster des Marktplatzes nachgezeichnet. Jedoch sind die darin gestorbenen Menschen nicht die einzigen Toten an dieser Stelle. Denn der Marktplatz war früher ein Kirchhof der 1172 geweihten Marktkirche. Rings um sie erstreckte sich der Friedhof, umgeben von einer Mauer. Das Gelände lag etwa einen Meter höher als die Umgebung, um den Platz vor Überschwemmungen zu schützen. Als 1788 alle Bestattungen in Ortszentren verboten wurden, verlegten die Eitorfer notgedrungen ihren Friedhof in die heutige Goethestraße. Die Mauer wurde abgerissen.

Der alte Turm auf dem Marktplatz wurde als Ehrenmal genutzt. (Repro: Inga Sprünken)

Die Marktkirche wurde nicht mehr saniert. 1889 war sie so baufällig, dass sie abgerissen werden musste. Sie war überflüssig geworden, denn in den Jahren 1882 bis 1884 war unweit an der Ecke Schöllerstraße die Kirche St. Patrizius errichtet worden. Von der alten Kirche erhalten ist noch der büttenförmige Taufstein aus dem 12. Jahrhundert. Der Abbruch der alten Kirche war nicht widerspruchslos hingenommen worden, jedoch blieb ihr Turm stehen. Ein neuer wurde neben der neuen Kirche erst 1902 gebaut. Danach sollte auch des Turms letztes Stündlein schlagen – doch die Umwidmung zum Krieger-Ehrenmal 1913 rettete ihn.

Der heutige Marktplatz

Der ehemalige Kirchhof war schon 1855 beim Bau der Siegtalstraße zum zentralen Platz umfunktioniert und tiefer gelegt worden. Seine Oberfläche bestand aus Lehm. Entlang der umlaufenden Marktstraße wurden Linden gepflanzt. Doch die Industrialisierung brachte auch eine Zunahme des Kraftverkehrs mit sich, so dass der Platz zunehmend beparkt wurde. 1969 sollte er erstmals befestigt werden. Dabei kam Grausiges zum Vorschein: die Gebeine der Toten des früheren Friedhofs wurden mit ausgebaggert.

Auf dem Marktplatz schwammen 1970 die Autos. (Repro: Inga Sprünken)

Wie erstmals beim Fronleichnams-Hochwasser 1898 rächte sich zudem die Tieferlegung des Platzes. 1970 setzte der Eipbach den gesamten Ortskern metertief unter Wasser. Autos schwammen auf dem Marktplatz. In den 1980er kamen Pläne auf, den überwiegend als Parkplatz genutzten Platz aufzuwerten. Zudem sollte er eine Entwässerung in der Mitte erhalten. Die Platanen aus 1969 wurden vor die Kirche versetzt und durch Robinien ersetzt. Mit seiner Einweihung erhielt der am 27. August 1989 eingeweihte Marktplatz sein heutiges Gesicht.

Der Marktplatz erhielt 1989 sein heutiges Gesicht. (Repro: Inga Sprünken)

 

 

Ab 2016 kamen Planungen auf, die Autos vom Platz zu verdammen und ihn komplett umzugestalten. Doch die Bürger protestierten. Seither liegen die Planungen auf Eis – und die Gebeine der Toten haben bis auf Weiteres ihre Ruhe.

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