V1-Raketen starteten in Ruppichteroth
Es ist schon bemerkenswert, wenn man sich überlegt, dass V1-Raketen auch in unserer ländlichen Region stationiert waren. Schließlich war es nicht weit bis Belgien. Zufällig stößt man auch nicht auf sie – die Reste der V1-Abschussrampe. Die dicken Betonquader und Ziegelsteinmauerreste im Wald nahe des Ruppichterother Ortsteils Kuchem sind nur wenige Meter von der Landstraße 86 zwischen Eitorf und Schönenberg entfernt. Jedoch führt kein direkter Weg durch das dichte Brombeergestrüpp, das insbesondere in den Sommermonaten die Spuren des Zweiten Weltkriegs überwuchert.
Doch wer genau hinschaut, entdeckt sie noch, die Reste der V1-Abschussrampe, die von hier auf Belgien gerichtet war. 47 (Fieseler Fi-103), besser bekannt als V1-Raketen, wurden von hier aus zwischen 14. und 17. März 1945 abgeschossen. Insgesamt sollen es etwa 150 Marschflugkörper gewesen sein, die vor 75 Jahren von der 22. Batterie aus einer der vier Nutscheid-Stellungen in Ruppichteroth und Eitorf – den einzigen, die rechts des Rheins noch zum Einsatz gekommen waren – abgeschossen wurden.
Startbolzen für V1-Raketen in Kuchem
In dem idyllischen Örtchen Kuchen gibt es sogar noch jemanden, der sich an die damaligen Begebenheiten erinnert. Auf der Begrenzungsmauer an seinem Haus hat Paul Stommel den Startbolzen ausgestellt, der auf der einst 48 Meter langen Rampe die Rakete beschleunigt und zum Abschuss gebracht hatte. Denn sein Vater, Peter Stommel, und dessen Nachbar, Wilhelm Schmitt, hatten im März 1945 die Aufgabe gehabt, mit ihren Pferden den Bolzen auf einem flachen Schlitten wieder zurück zur Stellung zu bringen.
Nach dem Abschuss der Bombe flog der etwa 150 Kilo schwere Bolzen jeweils 500 Meter den Hang hinunter. „Mein Vater und der Nachbar waren zwangsverpflichtet“, erzählt der 82-Jährige. Zumeist landete der Bolzen in dem versumpften kleinen Tal „Im roten Brunnen“. Zusammen mit den Kanonieren gruben die Landwirte die Metallstücke mühsam wieder aus, um sie zurückzutransportieren. „Mein Vater durfte die Flakstellung nicht sehen. Darum wurden ihm stets die Augen verbunden“, berichtet der gebürtige Kuchemer von den teilweise schwer beschädigten Bolzen, die oftmals mit anderen Bolzenteilen wieder zu einem zusammengesetzt wurden.
Nach dem Überflug entdeckt
Die Zünder an der Rakete waren so eingestellt, dass sie erst nach 60 Kilometer Flug scharf war. Trotzdem waren die Abschüsse für die Bevölkerung nicht ungefährlich, denn immer wieder gab es Frühabstürze. Im Februar waren sechs dieser, auch „dicke Zigarre“ oder „Vogel“ genannten Bomben in Niederpleis, Remschoß (bei Neunkirchen), Blankenberg, Hennef, Lohmar, Birk und Spich niedergegangen. Aus Bohlscheid bei Eitorf berichtet im Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 1995 der Zeitzeuge Willi Kremer von einem „Kreisläufer“ aus der Stellung Rankenhohn (Eitorf). 15 Kartoffelleser hatten ihn bemerkt und sich auf den Boden geworfen.
Die Rakete schaffte jedoch noch den Überflug des Bergrückens im Waldgebiet zwischen Rodder und Weyerbusch, wo sie explodierte. Von Kuchem aus wird von zwei „Krähen“ berichtet, die nach einigen hundert Metern niedergingen, aber nicht detonierten. Gesprengt wurde indes die Flakstellung, nachdem die Amerikaner am 7. April 1945 die Nutscheid-Stellungen in Besitz genommen hatten. Abgelöst von britischen Besatzungstruppen bauten diese die auch Walter-Schleudern genannten Abschussrampen ab und sprengten die Sockel. „Wir haben in der Schule gesessen und die Detonationen bis Schönenberg gehört. Die Steine sind bis ins Dorf geflogen – und teilweise durch die Dächer“, erzählt Stommel.
V1-Raketen auch im Siebengebirge
Weitere V1-Abschussrampen gab es im Siebengebirge (vier), bei Lohmar (drei) und eine bei Drabenderhöhe. Sie waren aber nicht mehr rechtzeitig fertiggestellt worden. Reste davon finden sich etwa noch im Wald an der Bundesstraße 56 unterhalb von Lohmar-Heide. Sie alle gehörten zu den Geschützstellungen, die nach dem Vordringen der Alliierten und dem Rückzug der Deutschen aus Frankreich in der Eifel und im Bergischen Land errichtet worden waren.
Die Raketen sollten das 240 Kilometer entfernte Antwerpen erreichen. Eitorf wurde als Versorgungsbahnhof genutzt – ein Grund, warum die Gemeinde in den letzten Kriegstagen besonders stark bombardiert wurde. Die Reste im Wald bei Kuchem gehören zu den Betonfundamenten der Pendelstützen für die steil aufsteigende Startrampe. Zu erkennen ist auch noch die Grube für den Kommando-Stand – das Ganze steht unter Denkmalschutz.
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