Die Wahnbachtalsperre und die versunkenen Welten
„Wer bei Niedrigwasser von der Staumauer der Wahnbachtalsperre über die Wasserfläche blickt, sollte genau hinschauen. Denn in der Mitte der Fläche kommt die Spitze eines Kirchturms zum Vorschein. Dieser gehört zu der Kirche, die nach dem Bau der Staumauer in den 50er Jahren in den Fluten des Wahnbachs versank.“ Diese Geschichte wurde uns als Kindern erzählt, wenn wir die Staumauer der Wahnbachtalsperre besuchten.
Doch das ist ein Ammenmärchen. Zwar versank einiges in den Fluten der ab 1955 gebauten Talsperre – eine Kirche gehörte jedoch nicht dazu. Das einzige, was im Bereich der Staumauer bei Niedrigwasser zum Vorschein kommen kann, sind die Reste der Derenbachtalbrücke.
Das Wahnbachtal vor dem Bau der Talsperre
Das Wahnbachtal war bis zum Bau der Talsperre nur dünn besiedelt. Insgesamt lebten rund 20 Menschen dort – ein Dorf gab es nicht. Der 1953 gegründete Wahnbachtalsperrenverband kaufte die Anwesen auf, riss sie ab und siedelte die Bewohner um. „Heimatlos – zum Wohle der Allgemeinheit“ titelte im August 1955 eine Zeitung. „
Wenn eine seit Jahrhunderten bestehende Wassernot endlich behoben und mehrere hunderttausend Menschen mit gutem Trink- und Brauchwasser versorgt werden können, dann ist es selbstverständlich, dass die Interessen der Einzelnen an Familienbesitz und Familientradition einmal zurücktreten müssen, so traurig das im Einzelfall ist“, hieß es in dem Bericht.
Straße und Mühle versanken in der Wahnbachtalsperre
Einen Monat später, ab September 1955, schütteten 840 Arbeiter eine Million Kubikmeter Gestein auf, um den Wahnbach aufzustauen. Am 19. Juni 1956 schon wurde Richtfest gefeiert, am 20. Dezember die Absperrklappen geschlossen. Als am 28. April 1958 die Talsperre offiziell in Betrieb genommen wurde, war nicht nur die historische Wahnbachtalstraße in den Fluten versunken, auch Reste von Brücken und Häusern.
Dazu gehörte etwa die Luttersmühle von Josef Küpper. Der Müller hatte noch bis 1956 die Ortschaften Happerschoß, Heisterschoß, Schneffelrath, Umschoß und Neuenhaus angefahren, um bei den ansässigen Bauern das Getreide zum Mahlen abzuholen. Die 1645 erstmals urkundlich erwähnte Mühle war der Mittelpunkt des Tals und seit 1903 im Besitz der Familie. Der Bruder des Müllers, Peter Küpper, betrieb seit 1928 das Gasthaus „Wahnbachtaler Schweiz“, das ebenfalls der Talsperre zum Opfer fiel. Seit 1932 betrieb er zudem die noch heute als Gasthaus existierende Gutmühle.
Gebäudereste in der Wahnbachtalsperre
Etwa 300 Meter von der Luttersmühle entfernt, befand sich der landwirtschaftliche Hof Hillenbach der Familie von Wilhelm Hover, der einen Holzhandel und Steinbrüche im Wahnbachtal betrieb. Wenn heute der Wasserspiegel des Stausees sinkt, werden noch Grund- und Stützmauern des Hofes sichtbar. Ebenfalls im Tal befand sich sich der Petershof und ein Wochenendhaus eines Bonner Unternehmers in dessen Nähe.
Am Einlauf des Wahnbaches im Bereich der heutigen Vorsperre, war die Gaststätte „Herkenrather Mühle“ ein beliebtes Ausflugslokal. Das blieb sie auch noch nach Bau der Talsperre, wurde aber 1961 vom Wahnbachtalsperrenverband aufgekauft. Bis 1972 wurden die Gebäude als Versuchsanlage für die Phosphoreliminierung genutzt.
Richtfest der Wahnbachtalsperre
Als 50 Jahre nach dem Richtfest der Wahnbachtalsperre, im Jahr 2006, der Wasserspiegel wegen einer großen Revision stark abgesenkt werden musste – das Gleiche geschah auch 2008 wegen Sanierungsarbeiten – kamen die geheimnisvollen Mauerreste der einstigen Gebäude wieder zum Vorschein. Besucher wanderten auf dem Grund der Talsperre und entdeckten unter anderem die Reste der Wahnbachtalstraße und einer Brücke, die über den Wahnbach führte.
Die auf 6,3 Kilometern versunkene Wahnbachtalstraße verlief einst entlang des Wahnbachs zur heutigen L 189 bei Herkenrath. Ihre Anschlüsse finden sich noch heute am nördlichen und südlichen Ende und zwischen Wolperath und Wahn. Um die Verkehrsverbindungen zwischen der Kreisstadt und dem Bergischen Hinterland zu verbessern, war Anfang des 20. Jahrhunderts eigentlich der Bau einer Eisenbahnlinie von Siegburg bis nach Much und weiter bis zum Wiehltal geplant. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte dies jedoch.
Geplant war eine Bahnlinie
Am 9. Juni 1921 beschloss der Kreistag, das Bahnprojekt erst wieder aufzunehmen, wenn sich die Finanzlage verbessert habe. Vier Jahre später begann der Bau der Wahnbachtalstraße. Ausschlaggebend für die Bevorzugung einer Straße gegenüber der Bahnlinie war die Tatsache gewesen, dass diese durch die produktive Erwerbslosenfürsorge sowie durch Beihilfen seitens der Rheinprovinz gefördert wurde. Zu den Brücken, die dafür gebaut werden mussten, zählte auch die Ummigsbachbrücke beim Kloster Seligenthal, die 1945 von der Wehrmacht gesprengt wurde.
Zum Bau der Talsperre hatte Anfang der 1950er Jahre die bedenkliche Situation der Wasserversorgung geführt. Bonn förderte zu dieser Zeit sein Trinkwasser noch aus zwei Schachtbrunnen des im Jahr 1875 errichteten Wasserwerkes Gronau. Das Rheinwasser wurde nicht wesentlich filtriert und ohne Aufbereitung nur nach einer Desinfektion mit Chlor im Stadtnetz verteilt. In Siegburg geschah das Gleiche mit Wasser aus der Sieg. Heute versorgt die Wahnbachtalsperre 800.000 Menschen in Bonn, dem Rhein-Sieg-Kreis und dem Kreis Ahrweiler mit Trinkwasser. 28 der jährlich aufbereiteten 42 Millionen Kubikmeter kommen aus der Talsperre.