Silvester: Die Toten auf dem Dachboden

Die Toten auf dem Dachboden, Rheinland.

Silvester: Die Toten auf dem Dachboden
Silvester fällt in die Zeit zwischen der längsten Nacht des Jahres, der Wintersonnenwende am 21. Dezember, und den Heiligen Drei Königen am 6. Januar. Dies ist eine ganz besondere, geheimnisvolle Zeit. Es ist die Zeit der Rauhnächte und der Geister, die in dieser Zeit ihr Unwesen treiben. In vielen Gegenden Deutschlands ist der Aberglaube verbreitet, dass man „zwischen den Jahren“ keine Wäsche aufhängen sollte, weil sich Wotan bei seinem Ritt durch die Dunkelheit darin verfangen könnte. Das macht ihn wütend und er spricht einen Fluch für das neue Jahr aus.

Auch „Frau Holle“ aus dem Märchen der Gebrüder Grimm ist in dieser Zeit unterwegs. Sie ist eigentlich die Totengöttin „Hel“, „Hella“ oder „Percht“, da Kälte und Winter mit dem Tod in Verbindung gebracht wurden. Diese Verbindung hatte nicht nur eine negative Seite (Pechmarie), sondern auch eine positive (Goldmarie), da damit der Weg frei für neues Leben wurde. Hel ist somit nicht nur Toten- sondern auch Schutzgöttin. Ab dem zehnten Jahrhundert wurde das Wort „Hel“ zu einer synonymen Bezeichnung für die Unterwelt, der Hölle für die „Sünder“.

Die wilde Jagd durch die Nacht

Bei der wilden Jagd während der mystischen Rauhnächte reitet Odin, der einäugige Sturm– und Kriegsgott des Göttergeschlechts der Asen, auf seinen weißem achtfüßigen Schlachtross Sleipnir durch die Lüfte. Er jagt einen Eber und wird dabei begleitet von seinen Raben Hugin und Munin („der Gedanke und die Erinnerung“) und seinen beiden Wölfen Geri und Freki („der Gierige und der Gefräßige“).

Auf dieser ewigen, sich jährlich wiederholenden Jagd benutzt er vorzugsweise seinen Speer Gungnir, der niemals sein Ziel verfehlt. Er wird sowohl von den gefallenen Kriegern, die in Walhalla residieren, als auch von einigen wenigen auserwählten sterblichen Helden begleitet. Die Jagd gilt als Sinnbild für die Toten- und Ahnenverehrung, die auch für den Fruchtbarkeitskult in Form von Streben nach Wachstum.

Auch Silvester ist eine Rauhnacht

Es sind 12 stürmische Nächte der Mittwinterzeit zwischen dem 24. Dezember und 6. Januar. Manche zählen auch 14 Nächte ab dem dem Julfest, das als Geburt des Lichts gefeiert wird. Die Rauhnächte sind auch als Glöckelnächte, Innernächte oder Unternächte bekannt. Nach der Überlieferung waren sie bestimmend für das Wetter und die Geschehnisse der kommenden zwölf Monate.

Noch heute ist jede Rauhnacht stellvertretend für einen Monat. Indem man seine Wünsche auf 13 Zettel schreibt und jede Nacht einen dieser Zettel verbrennt, kann man zu deren Realisierung im neuen Jahr beitragen. Der 13. Zettel wird nicht verbrannt. Er enthält die Aufgabe für das neue Jahr. In den mystischen Nächten soll geräuchert und Kerzen entzündet werden.

Silvester: der Sprung ins Glück

An Silvester, der Nacht, die ihren Namen dem Todestag des Papstes Silvester (335 n.Chr.) verdankt, begrüßt man mit Getöse oder Feuerwerk das neue Jahr. Das soll die Geister des vergangenen Jahres vertreiben und Platz für Fruchtbarkeit, Glück und Schutz schaffen. Früher warfen die Menschen Flaschen und Töpfe, zum Teil mit Asche gefüllt, gegen Fensterläden und Türen. Beim Glückssprung springt man mit dem 12. Schlag um Mitternacht von einem Stuhl oder Tisch.

In Westfalen trugen die Menschen zu alter Zeit eine als alte Frau gekleidete Strohpuppe aus dem Dorf und warfen sie in ein Gewässer. In den Wirtshäusern löschten die Gastwirte die Lichter und entzündeten sie mit dem 12. Schlag der Glocke wieder. Im Erzgebirge trank die ganze Familie beim Silvesterläuten aus dem gleichen Glas und warfen es danach aus dem Fenster. Dies sollte Unglück vom Haus fernhalten, das zu diesem Zweck auch mit grünen Zweigen geschmückt wurde. Beim Silvesteressen hielt man einen Platz für verstorbene Angehörige frei.

An die Hausgeister denken an Silvester

Für die guten Hausgeister legte man an Silvester mancherorts Brot und ein Messer auf den Tisch. In Ostpreußen heizten die Bürger den Ofen warm, damit die Toten sich an ihm wärmen können. Wer in der Silvesternacht um Mitternacht auf den Dachboden geht, dem erscheint der zuletzt im Hause Verstorbene. Versunkene Glocken sollen läuten, Unterirdische hört man arbeiten, Hexen sitzen an Kreuzwegen und Verwünschte kommen hervor.

In Mecklenburg brachten die Menschen alle Geräte unter Dach und Fach und schlossen alle Fenster und Türen. Man scheute sich, das Haus zu verlassen. Zudem darf in der Silvesternacht nichts zerbrechen und kein Feuer achtlos niederbrennen und erlöschen, da ansonsten im neuen Jahr jemand im Hause stirbt. In Estland versah man alle Gegenstände, Fenster und Türen mit einem Pentagramm oder Kreuz.

Wünschelruten helfen beim Auffinden von Schätzen

An Silvester geschnittene Wünschelruten sollen beim Auffinden verborgener Schätze helfen, gesammelte Besenreiser vor Behexung schützen. Wer um Mitternacht die Stube kehrt, kehrt das Unglück aus dem Haus. Der Hausherr schlägt um Mitternacht vier Holzpfähle in allen vier Himmelsrichtungen rund um das Haus herum in die Erde. Dies schützt vor Blitzschlag.

Wasser, das an Silvester geschöpft wird, bleibt ein Jahr lang frisch und bewahrt das Haus vor Unheil. Den Quellen werden Opfer dargebracht und Brunnen mit Zweigen geschmückt. Eine Muskatnuss in der Hosentasche während der Silvesternacht schützt vor Stürzen und Knochenbrüchen.

Silvester als Nacht der Orakel

Die erste Begegnung im neuen Jahr beinhaltet ein persönliches Orakel. Fülle und Überfluss an Speisen sind eine gute Vorsorge für das neue Jahr. Im Erzgebirge wickelte man Brot und Salz in das Tischtuch und ließ es die Nacht hindurch auf dem Tisch liegen, um Nahrungsmangel vorzubeugen.

Der Neujahrsbrezel oder -kranz symbolisiert das Jahresrad. Auch Geschenke sind als gute Omen sind beliebt. Dazu eigenen sich Glücks-Symbole wie Schweinchen, Schornsteinfeger und Kleeblätter. Das Schwein steht für Wohlstand und Reichtum, der Schornsteinfeger für einen freien Schornstein und damit für Sicherheit fürs Haus. Das vierblättrige Kleeblatt ist ein Weltensymbol. Es repräsentiert sowohl die vier Himmelsrichtungen, als auch die vier Elemente Luft, Feuer, Wasser und Erde. Ein Blatt steht für Ruhm, eins für Reichtum, eins für einen treuen Geliebten und eins für Gesundheit.

Der Blick in die Zukunft

Wer in die Zukunft schauen möchte, dem hilft das Bleigießen, das auch mit Kerzenwachs gemacht werden kann. Zwischen 23 und 24 Uhr kann man im Freien einen Kreis um sich ziehen, wenn man sein Schicksal im kommenden Jahr sehen möchte. Auf einem Kreuzweg kann man ebenso in die Zukunft horchen. Beim Buchstechen schlägt man ein Buch beliebig auf und sticht mit dem Finger in die offene Seite. Das getroffene Wort/der Satz ist das Omen für das neue Jahr.

Das Wetter an Silvester und Neujahr gilt ebenfalls als bedeutendes Omen. Wenn es in der Neujahrsnacht schneit, gibt es viele Bienenschwärme, warmes Nebelwetter bringt Krankheiten, starkes Morgenrot an Neujahr kündigt Krankheit und Krieg an. Steht über dem Haus am hellen Nachthimmel eine dunkle Wolke, stirbt jemand, starker Wind in der Silvesternacht bedeutet Krankheit und Tod.