Ein geheimnisvoller Stollen in der Schlucht

Der Eingang in den Stollen. (Foto: Inga Sprünken)

Es ist ein geheimnisvoller Ort. Tiefe Schluchten durchziehen den Berg in den Wäldern auf dem Leuscheid. An der Landesgrenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, wo auch ein Wolfsrudel angesiedelt ist, ist die Natur wild. Umgefallene Bäume liegen kreuz und quer und bilden eine Brücke über enge Einschnitte, die kleine Bachläufe über Jahrmillionen in den Berg gefräst haben. Hier hängen die Reste einer Brücke halb verfault über dem Abgrund, dort steht ein morsches Geländer oder zeugen faule Balken von einem Steg über einen kleinen Bachlauf. Und dann, ganz versteckt im unteren Teil dieses tiefen Siefens befindet sich ein Loch im Berg. Was mag das wohl sein?

Wilde Schluchten durchziehen das Tal. (Foto: Inga Sprünken)

Um dorthin zu gelangen muss man sich fast abseilen, so steil ist der Hang an dieser Stelle. Es ist schon ein Abenteuer, aber Bäume geben ein bisschen halt. Und dann endlich steht man vor dem Loch: Es ist der Eingang zu einem alten Stollen. Halb zugeschüttet findet sich hier selbst in langen Trockenperioden noch Wasser. Und das wiederum ist wuselig-lebendig. Salamander haben sich diesen düsteren Ort für ihre Nachkommenschaft ausgesucht. Die fast schon ausgewachsenen Larven, die sich kurz vor dem An-Land-Gehen befinden, schwimmen im Schein der Lampe schnell von dannen. Der Lampenschein aber erfasst aber noch etwas anderes. Tief im Dunkel des Stollens scheint es, als ginge nach links ein Gang ab. Genau an dieser Stelle ragt etwas Rundes aus dem Stollenwasser. Es sieht fast aus wie das Lenkrad eines alten Käfers – oder eines Traktors. Liegt hier tatsächlich ein Fahrzeug begraben?

Was liegt da im Stollen? (Foto: Inga Sprünken)

Stollen zeugt vermutlich von illegalem Bergbau

Der alte Bergstollen jedenfalls ist auf die heimlichen bergbaulichen Aktivitäten einer kleinen Ortsgemeinde im Westerwald zurückzuführen. Denn offiziell gab es so etwas hier nicht. Im 19. Jahrhundert suchten die Menschen nach Möglichkeiten, ihr karges Einkommen aufzubessern. So gruben sie Löcher in den Berg, um Erz im Tagebau zu fördern – Belege darüber gibt es nicht. Nach alter Überlieferung wurden in diesem Stollen also einst silberhaltige Erze gefunden und illegal abgebaut. Normalerweise sind solche Pingen fünf bis sechs Meter tief.

Im Wasser des Stollen ist viel Leben. (Foto: Inga Sprünken)

Im Jahr 1990 machten sich die Honoratioren der Ortsgemeinde auf den Weg, den geheimnisvollen Stollen zu erkunden. Zu diesem Zeitpunkt, so heißt es, soll das Wasser 60 Zentimeter hoch gestanden und die Firsthöhe 1,50 Meter betragen haben. Nach zehn Metern in dem 1,20 Meter breiten Stollen soll die Sohle treppenartig um eine Stufe von 20 Zentimeter angestiegen sein. Nach den Aufzeichnungen betrug die noch verbliebene Ganglänge hier etwa sechs Meter. Jedoch zweigte hier ein weiterer, etwa acht Meter langer Nebenstollen ab. In diesen waren geheimnisvolle Hohlräume gegraben. Etwa 50 Zentimeter hoch und 3,50 Meter breit lagen sie unter der Decke. Eine alte Bauschaufel und ein Dachdeckerhammer zeugten von der verbotenen Tätigkeit eines Mineraliensammlers.

Salamander-Larven fühlen sich wohl im Stollen. (Foto: Inga Sprünken)

Schutzsuche im Stollen

Doch die Höhle hatte noch eine ganz andere Bedeutung, wie sich einer Chronik entnehmen lässt. Als im März 1945 die Spitzenverbände der Amerikaner nach dem Übergang über die Rheinbrücke bei Remagen in den Westerwald vorstießen, fanden sie 15 bis 20 Menschen darin – eine Bombe hätte den Berg niemals durchdringen können. Für die Schutzsuchenden bestand allerdings die Gefahr, in dem schmalen Berg eingeschlossen zu werden, wenn genau vor dem Eingang eine Bombe gefallen wäre.

Der Stollen als Schutzraum. (Repro: Inga Sprünken)

Am Morgen des 25. März 1945 hatten die Schutzsuchenden am Ende des Ganges einen zweiten Ausgang in den Berg geschossen. Die Menschen hatten bereits einige Tage und Nächte in ihrem Unterschlupf zugebracht und litten Hunger. Als sie hörten, dass die Amerikaner im Anmarsch waren, befestigten sie am Eingang des Stollens eine lange Holzstange mit einem weißen Bettlaken als Zeichen der Ergebung. Kurz danach holten sie bewaffnete Amerikaner aus dem Stollen heraus. Von all dem ist heute nichts mehr zu sehen. Denn die Erkunder aus 1990 hatten sich 1993 entschlossen, den geheimnisvollen Stollen mit Erde zu verfüllen, damit niemand mehr eindringen könne. Doch das austretende Wasser hat den Stollenmund wieder ein Stück geöffnet und so ist er wieder am Fuß der Schlucht zu erkennen. Ob bei dieser Aktion das Fahrzeug (oder Lenkrad?) in den Stollen geraten ist, bleibt ein Geheimnis.

Zerfallene Brücken im Umfeld des Stollens. (Foto: Inga Sprünken)

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