Die Löcher in der Scheibe

Der Programmstart des Fernsehens 1952 lockte die Massen an. (Repro: Inga Sprünken)

Es war die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, als mein Vater, dessen berufliche Karriere als Technischer Zeichner in seiner Heimatstadt Aachen begonnen hatte, die Zeichen der Zeit erkannte. Wegen seiner ersten Frau war er nach Düsseldorf gezogen und konnte dort ein Elektro-Geschäft übernehmen. Indem er zum Elektroinstallateur umsattelte und seinen Meister machte, erfüllte er sich den Traum von der Selbstständigkeit. In den Jahren 1949 bis 1955 war sein Geschäft „Elektro Sprünken“ auf der Kalkumer Straße 108 angesiedelt.

Rundfunkgeräte waren das bevorzugte Medium. (Repro: Inga Sprünken)

In dieser Zeit überschlugen sich die technischen Neuheiten, denn während anfangs noch das Radio das wichtigste Medium gewesen war, schlossen sich 1950 die Landesrundfunkanstalten in Westdeutschland zur Arbeitsgemeinschaft öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) zusammen. Als am 25. Dezember 1952 der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) sein Fernsehprogramm in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen startete, hatte auch mein Vater bereits Fernseher im Angebot. Schon einen Tag nach Programmstart wurde die erste Tagesschau ausgestrahlt – eine Sensation. Die Zuschauer versammelten sich auf der Straße und belagerten das Schaufenster meines Vaters.

Als Elektroinstallateurs-Meister verkaufte und reparierte mein Vater Fernseher. (Repro: Inga Sprünken)

Düsseldorf war erst sechs Jahre zuvor Landeshauptstadt geworden, nachdem am 2. Oktober 1946 das Land Nordrhein-Westfalen gegründet worden war. Die britischen Besatzer wollten das Ruhrgebiet kontrollieren und stärken, um die Ressourcen des Industriestandorts für ganz Europa nutzbar zu machen. Düsseldorf als Mittelpunkt des Landes wurde wegen seiner Nähe dazu gewählt. Zudem hatten hier schon etliche Verwaltungen der Fabriken und Zechen des Ruhrgebietes ihren Sitz.

Die Erfindung des Fernsehens

Schon Alexander Bain hatte 1843 auf die Möglichkeit, Bilder punkt- und zeilenweise abzutasten und die Helligkeitswerte elektrisch zu übertragen, hingewiesen. Die erste brauchbare Umsetzung erfand 1883 jedoch Paul Nipkow: ein elektrisches Teleskop, dass mit Hilfe einer rotierenden, mit spiralförmig angeordneten Löchern versehenen Scheibe Bilder in Hell-Dunkel-Signale zerlegte und wieder zusammen setzte. Seine „Nipkow-Scheibe“ meldete er am 6. Januar 1884 zum Patent an. Damit legte er den Grundstein für die ersten Fernsehbildübertragungen Anfang des 20. Jahrhunderts. Was ihm jedoch fehlte, war eine Verstärkungsmöglichkeit für seine Erfindung.

Fernsehgeräte setzten sich in deutschen Wohnzimmern schnell durch. (Repro: Inga Sprünken)

Diese entwickelte der Hamburger Erfinder Manfred von Ardenne. In den 1920er-Jahren wurden gleich mehrere Patente für Fernsehsysteme angemeldet. Die ersten Bewegtbilder stammen aus 1924, dem Jahr, in dem der Leipziger Physiker und Elektrotechniker August Karolus ein Patent für die Lichtsteuerung bei der Fernsehbildübertragung anmeldete. 1928 wurde das Fernsehen auf der Berliner Funkausstellung erstmals vorgestellt, am 22. August 1931 präsentierte Ardenne auf der Berliner Funkausstellung das erste elektronische Fernsehgerät.

Fernsehen als Propaganda-Mittel

Schon die Nationalsozialisten hatten das propagandistische Potenzial der Fernsehtechnik erkannt. Sie trieben in den 1930er-Jahren die Technik voran. Bereits 1935 gab es den ersten regelmäßigen Programmbetrieb in so genannten Fernsehstuben. Die Olympischen Spiele 1936 waren das erste Großereignis, das vom Reichsrundfunk live übertragen wurde. Doch der Zweite Weltkrieg stoppte die Entwicklung.

Im neuen Geschäft auf der Neusser Straße wurden zahleiche Fernseher verkauft. (Repro: Inga Sprünken)

Anfang der 1950er Jahre gab es täglich nur drei Stunden Sendezeit, Ende des Jahrzehnts waren es bereits fünf Stunden. Das Fernsehen sollte in erster Linie bilden und weniger unterhalten. Live-Übertragungen gab es kaum, da sie zu aufwendig waren. Ausnahmen bildeten 1953 die Krönung von Königin Elizabeth II. und die Fußballweltmeisterschaft 1954. In den 1960er-Jahren wurde das Programmangebot erweitert. Die ARD richtete zwischen 1964 und 1969 fünf regionale dritte Fernsehprogramme ein. Krimis und in den USA eingekaufte Serien nahmen mehr und mehr Raum ein.

Das schlug sich in den Zahlen der Fernseh-Nutzer nieder. Gab es 1952 nur 300, waren es 1955 bereits 100.000 und 1960 schon 3,5 Millionen Nutzer in Deutschland. Zum Vergleich: In den USA gab es 1951 schon zehn Millionen Fernsehzuschauer, in Großbritannien 600.000. Bundeskanzler Konrad Adenauer versuchte, ein dem Bund unterstelltes Fernsehen zu etablieren, was jedoch scheiterte. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte mit seinem Urteil vom 28. Februar 1961 die Autonomie der Länder in Rundfunkfragen. Ersatzweise wurde eine weitere Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet: Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) in Mainz nahm am 1. April 1963 seinen Sendebetrieb auf.

Das Farbfernsehen

Das Farbfernsehen wurde am 25. August 1967 in Deutschland eingeführt, nachdem bereits 1963 ein erstes Farbfernseh-Testbild ausgestrahlt worden war. Mein Vater kam nicht mehr dazu, Farbfernseher in seinem Geschäft zu verkaufen, das inzwischen in die Neusser Straße umgezogen war. Dort hatte ich bis zu dessen Aufgabe – und dem Umzug von Düsseldorf nach Much – im Jahr 1968 noch als Sechsjährige gespielt und mit Begeisterung die Kindersendung „Ich bin Cäsar, der mutige Hase“ gesehen. Mein Vater verkaufte sein Geschäft, um sich zur Ruhe zu setzen. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits 66 und zog mit meiner 24 Jahre jüngeren Mutter und mir als I-Dötzchen aufs Land, wo sich schon ein Wochenend-Domizil befand.

Meine Eltern zogen mit mir aufs Land, bevor der erste Farbfernseher in den Handel kam. (Repro: Inga Sprünken)

Im noch sehr landwirtschaftlich geprägten Much überholte uns die Entwicklung. Unseren ersten Farbfernseher bekamen wir erst 1974, während meine noch in Düsseldorf lebende Großmutter schon 1972 die Olympischen Spiele in Farbe hatte sehen können. Sie rümpfte die Nase über uns rückständige Landbewohner. Dafür waren meine Eltern aber schon stolze Besitzer einer Geschirrspülmaschine (die erste kam 1929 auf den Markt) und einer Heißmangel (Markteinführung 1956). Die Nachbarn staunten nicht schlecht über diesen „neumodischen Kram“.

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