Gruselige Grabes-Stille in der Ruine der Kirche

Das Innere der Kirchen-Ruine. (Foto: Inga Sprünken)

Die Stille ist fast greifbar. Kein Vogel zwitschert, kein Laub raschelt, noch nicht einmal der Bachlauf lässt ein Plätschern vernehmen. Es herrscht im wahrsten Sinne des Wortes Grabes-Stille, als wir nach einer sechs Kilometer langen Wanderung über Stock und Stein endlich im Tal der ehemaligen Einsiedelei ankommen. Ganz unvermittelt taucht nach einer Wegbiegung die Ruine einer großen Kirche auf. Das Gebäude ist gefährlich nach rechts geneigt. Das Tonnengewölbe, das einst das Bogendach trug, ist nicht mehr vorhanden, die schlanken Fenster mit einem Bogendach teilweise ausgebrochen.

Versteckt in einem Tal findet sich die Ruine der Kirche. (Foto: Inga Sprünken)

Trotzdem lässt diese unheimliche Ruine der Eremo di Montespecchio noch die Schönheit des uralten Gotteshauses erkennen. Wie in der Toskana vielfach üblich, bestand die Fassade, wie der Dom in Siena, aus hellen Steinen und dunklen Serpentiniten. Dabei sind die hellen nicht weiß, sondern terracottafarben. Es handelt sich um sogenannten „Bärenmarmor“ nach dem Namen eines nahe gelegenen Bauernhofs. Der Serpentinit wiederum ist äußerst selten und wurde im Allgemeinen nur zu dekorativen Zwecken verwendet.

Die Seite des Kirchenschiffes. (Foto: Inga Sprünken)

Pulsierende Energien in der verfallenen Kirche

Wir folgen dem Weg, der die Ruine mit verfallenen Holzbalken ein wenig absperren soll, und begeben uns auf die Vorderseite, wo sich einst die Kirchentür befunden haben mag. Statt ihrer ist dort ein klaffendes Loch wie eine Wunde, die sich von oben nach unten zieht. Ganz vorsichtig begeben wir uns in das Innere des einst heiligen Hauses. Wir balancieren über herabgefallene Steine bis zu der Stelle wo sich der Altar befunden haben muss. Dort verharren wir, um zu spüren, ob es hier irgendetwas Geheimnisvolles gibt.

Der Bereich des einstigen Altars. (Foto: Inga Sprünken)

Und tatsächlich. Nach kurzer Zeit pulsieren meine zur Erde gestreckten Hände. Das Pulsieren steigt hinauf bis in die Arme und in die Brust. Ist das ein Beweis dafür, dass in diesem verlassenen Gotteshaus noch immer Energien sind? Dass die Gebete und Gesänge früherer Jahre ihre Spuren hinterlassen haben? Ist dies ein Kraftort oder sind es negative Schwingungen, die sich hier verbreiten? Was ist hier geschehen?

Die geborstenen Mauern der Kirche. (Foto: Inga Sprünken)

Ein Einsiedler erbaute die Kirche

Die Eremo di Montespecchio war eines der wichtigsten Augustinerzentren in der Toskana. Ihr Bau geht auf das dreizehnte Jahrhundert zurück. Ein Johannes hatte sich in dieses einsame Tal zurückgezogen, um ein Einsiedlerleben zu führen. Im Jahr 1189 soll dem frommen Mann von zwei Bauern aus Montepescini Geld zum Bau einer Kirche vererbt worden sein. 1228 wurde diese der Madonna von Rocamadour geweiht und fertig gestellt, erbaut mit Unterstützung des Augustinerordens. Ein Kloster wurde angegliedert und es kamen immer mehr Die Ordensbrüder, die nach der Augustinerregel lebten. Sie waren keine klassischen Mönche, sondern Eremiten. Sie liefen barfüßig und lebten in Armut und Bescheidenheit.

Die Fenster der Kirche sind ausgebrochen. (Foto: Inga Sprünken)

Im Jahr 1233 hatten sich in der Toskana mehrere Gruppierungen wie die Einsiedler des heiligen Augustinus gebildet. 1256 veröffentlichte Papst Alexander IV. eine Bulle, mit der er die toskanischen Eremiten zu einer Union zusammen schloss. Daraus entstand der vierte große Bettelorden des Mittelalters. Das Wort Eremit wurde viel später, nämlich im Jahr 1963, von Papst Johannes XXIII. gestrichen, weil das eremitische Leben kein Kennzeichen des Ordens mehr war. Das Erbe der Bauern wurde dank der Schenkung weiterer umliegender Ländereien weiter vergrößert.

Das Vorderteil der Kirche. (Foto: Inga Sprünken)

Steinreste unter Blättern vor der Kirche

Vor der Kirchenruine finden sich nicht nur Reste eines Eingangsplateaus, sondern auch Steinreste, die zu dem einstigen Kloster gehört haben können. Dieses genoss dank des Handels mit den seltenen schwarzen Steinen, die in der Nähe abgebaut und beim Bau der Kathedrale von Siena verwendet wurden, ein wirtschaftliches Einkommen. Im Jahr 1449 fand das letzte Kapitel der Augustiner-Observanzgemeinden in Montespecchio statt. Darin wurde erörtert, ob es besser sei, die Kongregationen unter einem einzigen Oberhaupt zu vereinen oder nicht. Kurz darauf wurde das Kloster Teil der Kongregation der Einsiedelei von Lecceto, die die Augustinerregel stärker anwandten.

Das Tonnengewölbe der Kirche ist eingestürzt. (Foto: Inga Sprünken)

Im 17. Jahrhundert zeigte sich in dem Kirchengebäude die geologische Instabilität des im kleinen Bachtal gelegenen Geländes. Das Kirchenschiff begann sich zur Seite zu neigen – noch stärker, als der Turm von Pisa. Die Mönche waren entsetzt und dachten an eine Strafe Gottes. Im Jahr 1687 bestätigte ein Gutachten von Maurern aus Vallerano die Gefährlichkeit des geneigten Gebäudes. Und das war sein Ende. Allerdings soll laut den Aufzeichnungen eines Priesters aus dem nahe gelegenen Casciano aus dem 18. Jahrhundert dies nicht der einzige Grund für die Aufgabe des Konvents gewesen sein. Der Gottesmann vermutete, dass die Ordensleute es satt hatten, an einem Ort zu leben, „der wirklich zu einsam und schrecklich war“, wie er schrieb. Die Ordensbrüder zogen nach Crevole, wo sie bis 1782 blieben bis der Großherzog den Orden auflöste.

Dort, wo sich das Eingangsportal befunden hat, klafft eine Lücke. (Foto: Inga Sprünken)

Vor dem ehemaligen Vordereingang der Kirchen-Ruine finden sich zu Pyramiden aufgetürmte Steine sowie verkohltes Holz, das auf Feuerstellen hinweist. Finden hier vielleicht schwarze Messen statt? Als wir das Tal verlassen und über eine kleine Brücke den Bach überqueren, hört man sein Plätschern. Beim steilen Anstieg über unebene Wege stellen sich auch wieder die üblichen Waldgeräusche ein: Laub raschelt und Vögel zwitschern…

Das kuriose Umfeld der Kirche. (Foto: Inga Sprünken)

Lesen Sie auch:

Venedig – Stadt der Liebe, nicht der Fahrräder

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
Email

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert