Die Geister der unterirdischen Stadt

Unterirdische Katakomben. (Foto: Inga Sprünken)

Quitschend öffnet sich die alte Tür. Es ist dunkel, feuchte Luft schlägt uns entgegen. Peter, bewaffnet mit einer Lampe, führt uns entlang einer unheimlichen Wand in den Untergrund. “Das ist der Platz, wo einst arme Menschen lebten und starben. Dies ist der Platz der Geister”, sagt er und erzählt von den Hexen der früheren Jahrhunderte, die hier vor ihren Verfolgern Unterschlupf suchten. Während die betuchten Leute in Gebäuden oberhalb der South Bridge lebten, vegetierten die Armen in den dunklen abgesonderten Kammern darunter vor sich hin. “300 Hexen wurden am Grassmarket verbrannt. Menschliches Fett floss die Wände herunter”, führt Peter seine gruselige Erzählung fort und leitet uns zu einem dunklen Netz von Kammern.

Beim Hineinschauen entdecken wir ein Pentagramm auf einer Wand neben einem Ying und Yang-Zeichen. Weiter hinten erspähen wir einen Kreis und einen Altar. “Dieser Raum gehört den modernen weißen Hexen, die hier ihre Zirkel abhalten”, erzählt Peter und ermutigt uns, Fotos zu machen. “Viele Touristen machen hier Fotos, die Dinge zeigen, die später keiner mehr erklären kann”, erzählt er von seltsamen Schatten und Lichtreflexen.

Auf dem Weg in den Untergrund. (Foto: Inga Sprünken)

Der dämonische Steinkreis

Peter, gekleidet in einen langen schwarzen Mantel, ist Schauspieler am Theater von Glasgow und macht in seiner Heimatstadt Edinburgh Führungen durch die unterirdische Stadt. Wir befinden uns hier in den Bögen der South Bridge und laufen entlang eines dunklen kalten Korridors. Peter erklärt, dass noch nicht einmal Spinnen und Ratten in diesen Katakomben leben. Nachdem wir ein paar Stufen erklommen haben, gelangen wir zu einer Kammer, in deren Mitte sich ein Steinkreis befindet. Dies ist der Raum, in dem ein Hexenmeister für eine Nacht ausgeharrt haben soll, um herauszufinden, was passieren würde. “Er hörte seltsame Geräusche”, erzählt Peter und deutet auf die Kopfwand. Dort habe der Hexenmeister einen Spiegel platziert. Der sei plötzlich zerbrochen. Der Zauberer habe gefragt, ob sich hier ein Dämon befände. Wenn ja, habe er in den Kreis zu gehen und dort zu bleiben. Seitdem ist es nicht ratsam, sich in diesen Steinkreis zu begeben.

Gruselfeeling unter der Stadt. (Foto: Pixabay)
Gruselfeeling unter der Stadt. (Foto: Pixabay)

“Ihr könnt die Hände in den Kreis halten, aber niemals dort hineingehen”, rät Peter und erzählt Geschichten von Touristen, die diesem Rat nicht gefolgt sind. Da sei mal ein Kind gewesen, das in den Kreis geklettert und von seiner Mutter fotografiert worden sei. Auf dem Foto habe sich ein weißer Strick um den Hals des Kindes gezeigt. Ein übergewichtiger Mann, der sich in den Kreis gewagt habe, sei plötzlich zu Boden gefallen und habe eine blutende Nase gehabt. Ein Japaner, der in den Kreis gestiegen war, habe danach seinen Job verloren und so weiter. Es gäbe viele solcher Geschichten, so Peter. “Im Kreis ist es viel wärmer” sagt er und ermutigt uns, dies zu überprüfen, indem wir eine Hand hineinhalten. Und tatsächlich fühlen alle einen deutlichen Temperaturunterschied – und bekommen eine Gänsehaut.

Geister in der Kammer der Dunkelheit

Nur sein Gesicht ist von seiner Lampe beleuchtet, als Peter uns in die Kammer der Dunkelheit führt. Beim Sprechen steigen kleine Nebelwölkchen aus seinem Mund. “Geht zu der linken Seite”, sagt er. Während wir das tun, deutet er zu einer Lampe über dem Eingang. “Dieses Licht funktioniert nicht. Wenn es repariert wird, dauert es nicht lange und es geht erneut aus”, sagt er und berichtet, dass niemand eine Erklärung für dafür habe. “Hier lebt vermutlich ein Poltergeist”, sagt Peter und kündigt an, nun seine Lampe zu löschen, damit wir uns von dieser absoluten Dunkelheit überzeugen können. Es dauert nur wenige Sekunden. Die sind aber lang genug, um es uns eiskalt den Rücken hinunter laufen zu lassen. Wir hören ein komisches Geräusch um die Ecke. Und Peter sagt: “Hört hin”. Wir werden nervös und sind erleichtert, als er die Lampe wieder anschaltet und wir uns Richtung Ausgang aufmachen. Dort angekommen, sind wir froh, dieses kleine Abenteuer schadlos überstanden zu haben.

Die Pubs an der South Bridge. (Foto: Inga Sprünken)

Ich mag diesen Teil der Altstadt von Edinburgh mit ihren düsteren Fassaden trotzdem – oder gerade deswegen. J.K. Rowling wurde hier zu ihren Harry-Potter-Büchern inspiriert. Sie saß in einem Café mit einem Blick auf den alten Friedhof, während sie schrieb. Auch um diesem Friedhof mit seinen düsteren Grabsteinen ranken sich jede Menge schaurige Geschichten. In den alten Gemäuern sind komische Dinge passiert – und passieren noch heute. Dinge, die niemand erklären kann. Dazu gehört die Erzählung, dass es in manchen Pubs rund um den Grassmarket unterhalb des Schlosses, auf dem einst Markt abgehalten und Menschen hingerichtet wurden, spuken soll. Ob man das glauben möchte, bleibt jedem selbst überlassen.

In einem Pub am Grassmarket. (Foto: Inga Sprünken)

Allerdings kann ich selbst von einem mysteriösen Vorfall in einem Pubs dort berichten. Es war an einem Abend während meines zweiwöchigen Stipendien-Aufenthaltes in Edinburgh, als wir in einem der berüchtigten Pubs das typische schottische Gericht Haggis (aus Schafsinnereien) probierten. Mein Lebensgefährte rief mich von Zuhause auf dem Handy an. Wir telefonierten eine Weile und hatten einen kleinen Streit. Nach Beendigung des Telefonats waren plötzlich alle Daten und Fotos auf dem Handy verschwunden. Weder Aus- noch Einschalten brachte sie wieder hervor. Erst viel später in der Ferienwohnung waren die Daten plötzlich wieder da. Ich habe mir daraufhin in einem der vielen Hexen-Läden in der Altstadt ein Pentagramm als Anhänger gekauft, das ich in den folgenden Tagen nicht mehr abgelegte.

Das Pentagramm ist ein magisches Schutzzeichen. (Foto: Pixabay)
Das Pentagramm ist ein magisches Schutzzeichen. (Foto: Pixabay)

Edinburgh und seine Geister

Wie Rom und Jerusalem wurde Edinburgh, Schottlands Hauptstadt, vermutlich um 843 n. Chr. auf sieben Hügeln erbaut (erste Erwähnung 1124). Neben der mittelalterlichen Altstadt, die von düsteren Fassaden geprägt ist, gibt es auch eine elegante gregorianische New Town mit Gartenanlagen und neoklassizistischen Gebäuden. Über der Stadt thront Edinburgh Castle. Die Burg beherbergt die schottischen Kronjuwelen und den “Stein der Vorsehung”. Dieser kam bei der Krönung der schottischen Könige zum Einsatz. Vom Hausberg Arthur’s Seat im Holyrood Park bietet sich ein fantastischer Blick über die Stadt. Auf der Spitze des Calton Hills wiederum stehen Denk- und Mahnmäler.

Viktoriastreet in Edinburgh. (Foto: Pixabay)

Insbesondere die Altstadt birgt viele Geheimnisse und dunkle Gewölbe, zu denen auch die unter den Bögen der South Bridge (Südbrücke) gehören. Geister von Pestopfern, die einst hierhin verbracht wurden, um sie zu separieren, sollen hier ihr Unwesen treiben. Und auch die Geister der Mordopfer des legendären Serienmörder-Duos Burke und Hare, das in den Jahren 1827/ 28 die Stadt unsicher machte, sollen hier umgehen. Die Leichen sollen die Mörder in den Katakomben zwischengelagert haben, bevor es sie an die Gerichtsmedizin verscherbelt haben sollen.

In einem der Pubs am Grassmarket. (Foto: Inga Sprünken)

Von jeder Menge Geistsichtungen und von übernatürlichen Phänomen wird in den Gewölben der „South Bridge Vaults“ berichtet. Die Brücke verläuft mitten durch die Stadt und verbindet die Stadtviertel auf gegenüberliegenden Hügeln miteinander. Die „Vaults“ (Kammern) in den 19 Bögen der in den Jahren 1785 bis 1988 erbauten Brücke sollten einst zusätzlichen Wohnraum für die Armen bieten, da in der Oberstadt zu wenig Platz war. Doch schon damals schien ein Fluch auf diesem Bauwerk zu liegen. Die Ehefrau eines angesehenen Richters sollte als erste über die Brücke schreiten, starb aber wenige Tage vor deren Einweihung. Daraufhin wurde ihr Leichnam im Sarg über die Brücke transportiert. Das reichte den Bürgern, um die Angst vor einem Fluch zu schüren. Keiner wollte in den unterirdischen Gewölben leben.

Unterirdische Gewölbe. (Foto: Inga Sprünken)

Die Gewölbe unter der Brücke

Hinzu kam, dass die Brücke aufgrund fehlender Gelder nicht wetterfest erbaut worden und zudem noch direkt neben einem Sumpfgebiet platziert worden war. Schon nach kurzer Zeit liefen die Kammern voll Wasser, so dass sie feucht wurden und weder als Wohnstätte, noch als Lager geeignet erschienen. In trockeneren Zeit dienten die Gewölbe Obdachlosen und Kriminellen als Unterschlupf. Es entwickelte sich eine unterirdische Parallelwelt. Verfolgte und Arme siedelten sich an. Ganze Familien hausten ohne Sonnenlicht in den feuchten und stinkenden Kammern ohne jede Belüftung. Und auch eine illegale Whisky-Destille fand hier ihr Versteck. Sie wurde im Juli 1815 entdeckt. Das Viertel rund um die South Bridge Vaults entwickelte sich ab 1835 zum Rotlichtviertel.

Abends in Edinburgh. (Foto: Inga Sprünken)

Mit der Zeit gerieten die Katakomben in Vergessenheit und erlangten 1989 zu neuer Berühmtheit. Der rumänische Rugbyspieler Cristian Raducanu versteckte sich hier nach einem Spiel gegen die schottische Nationalmannschaft, um nicht zurück in die verhasste Heimat zu müssen. Der schottische Nationalspieler Norrie Rowan half ihm dabei. Er betrieb eine Gastwirtschaft und hatte von hier aus einen Zugang zu den versteckten Gewölben entdeckt. In den 1990er Jahren half er auch bei der archäologischen Aufarbeitung der unterirdischen Stadt, in der sich teilweise noch Hausrat und Spielzeug der früheren Bewohner fand. Heute sind Teile der Vaults für (Geister-)Führungen wie die unsrige geöffnet.

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